Der symbolische Mittelfinger

Der Ausstieg aus der WHO als Sieg der Ignoranz über die Vernunft

Ich bin immer noch ein wenig sprachlos. Und das, obwohl es angekündigt war. Weniger wegen des Umstands, dass Trump es getan hat, sondern mehr wegen der eindeutigen Geste, des klaren Symbols für den Rest der Welt. Was meine ich? Der 47. Präsident der USA hat sich angeloben lassen, um dann umgehend eine Reihe sogenannter Executive Orders – es ist die Rede von gut 100 solcher Dekrete – zu unterschreiben. Dabei handelt es sich um Anordnungen des Präsidenten der USA, die so lange gültig sind, bis dieser oder ein Nachfolger sie zurücknimmt bzw. bis ein neu beschlossenes gegenteiliges oder abänderndes Gesetz in Kraft tritt.

Was Trump gemacht hat, zieht einem durchaus die Schuhe aus: Die Putschisten vom 6. Januar 2021 hat er begnadigt, er ist aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen und hat das Fördern von Bodenschätzen in Naturschutzgebieten erlaubt. Und: Er ist aus der WHO ausgestiegen. Alles Entscheidungen, die einem Mittelfinger ins Gesicht der Weltgemeinschaft gleichkommen – zumindest empfinde ich es so. Vor allem die letzte Entscheidung möchte ich hier näher beleuchten und meine Sicht der Dinge darlegen.

Dass Trump die WHO verlassen will, ist nichts Neues. Während der Covid-Pandemie hat er bereits – damals noch recht überraschend – diesen Schritt angekündigt und umgesetzt. Nach den Regularien erfolgt der Austritt aber nicht sofort, sondern es dauert 12 Monate, bis der Ausstieg vollzogen ist. In dieser Zeit fanden die Wahlen in den USA statt; Biden wurde gewählt und hat die Executive Order von Trump zurückgenommen. Damit verblieb die USA in der WHO, was für die Arbeit und Vernetzung der Weltgesundheitsorganisation wichtig ist.

Zum einen geht es natürlich um Geld. Die USA tragen 15 bis 20 % des WHO-Budgets bei. Dieser Betrag setzt sich aus Pflichtzahlungen und Projektbeiträgen zusammen, weshalb es sich um einen variablen Wert handelt. Fällt dieser Beitrag weg, wird die WHO in ihrer wichtigen Arbeit entsprechend eingeschränkt. Dazu zählen Präventions- und Behandlungskampagnen in Ländern des Globalen Südens ebenso wie koordinative Arbeit, Wissensaustausch und -transfer. Es geht darum, ein global wachsames Auge auf gesundheitliche Entwicklungen zu haben, Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. All das benötigt Ressourcen – nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch die Bereitschaft zum Austausch und zur gemeinsamen Forschung. Mit dem Austritt der USA verliert die WHO einen zentralen und wichtigen Partner.

Die entstehende Lücke wird natürlich zu stopfen sein, und die Frage ist, wer diese Aufgabe übernimmt. Die Gefahr, dass Länder wie China und Indien, von denen wir in der Pharmaproduktion bereits übermäßig abhängig sind, das Vakuum ausnutzen, liegt auf der Hand. Genau das war Trumps Begründung, als er den Ausstieg ankündigte: China sei zu mächtig in der WHO, und die USA würden über den Tisch gezogen. Ironischerweise könnte sein Rückzug Chinas Machtposition nun tatsächlich stärken. Alternativ könnte es auch dazu kommen, dass große Pharmaunternehmen einspringen, wie es in den letzten Jahrzehnten zunehmend der Fall war. Damals war es die mangelnde Bereitschaft vieler Länder des Globalen Nordens, ausreichende Mittel bereitzustellen, die zu einem wachsenden Einfluss privater Unternehmen und Stiftungen führte – ein Zustand, der zu Recht kritisiert wird, der aber geändert werden kann, wenn die Staaten ihrer finanziellen Verantwortung nachkommen. Auf der World Health Assembly (WHA) 2023 in Genf wurde deshalb eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge beschlossen, ein wichtiger Schritt, um die WHO unabhängiger von privaten Geldgebern zu machen. Wenn Trumps Ausstieg jedoch Wirklichkeit wird, droht diese Entwicklung wieder in die entgegengesetzte Richtung zu gehen.

Natürlich hat der Austritt auch symbolische Folgen. Die USA sind ein Gründungsmitglied der WHO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Welches Bild dies nach außen vermittelt, muss ich wohl nicht weiter ausführen – gerade in der von Symbolen und Symbolik so stark dominierten Diplomatie.

Und nein, die WHO ist keine geplante Weltregierung irgendwelcher Eliten. Sie hat keine Befugnis, direkt in Nationalstaaten einzugreifen oder medizinische Maßnahmen vorzuschreiben – weder mit den International Health Regulations (IHR) noch mit dem noch verhandelten Pandemievertrag. Die WHO kann Empfehlungen aussprechen, koordinieren und wissenschaftlichen Austausch ermöglichen. Sie sorgt für eine koordinierte Vorgehensweise, wenn in einem Land eine Gesundheitsbedrohung erkannt wird, und hilft, diese einzudämmen, bevor sie global wird. Die oft bewusst falschen Behauptungen von Verschwörungstheoretikern haben mehr mit einem schlechten Drehbuch eines B-Movies als mit der Realität zu tun.

Das bedeutet nicht, dass in Genf Milch und Honig fließen. Im Gegenteil: Die Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten sind oft hart und zäh und von Eigeninteressen geprägt. Hier geht es um fairen Zugang zu medizinischen Innovationen für Länder des Globalen Südens und um die Frage, wie Nothilfe aussehen soll. Auch die EU und andere wirtschaftlich starke Staaten handeln dabei nicht immer ruhmreich. Aber von einer globalen Eliteverschwörung sind wir weit entfernt.

Wenn man sich die Bilder der Amtseinsetzung Trumps und seiner Gäste ansieht, würde man eine solche Verschwörung eher dort vermuten. Milliardäre bestimmen jetzt in den USA die Politik und vertreten gnadenlos ihre Eigeninteressen. Bernie Sanders warnte bereits vor Jahren vor einer Oligarchie in den USA, und Biden griff diese Warnung vor wenigen Tagen wieder auf. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten – aber das, was sich derzeit in Washington, D.C., abspielt, sieht nicht gut aus. Der Ausstieg der USA aus der WHO ist ein Beispiel dafür, wie dringend der Multilateralismus nötig wäre. Umso wichtiger ist es, dass Europa auf engere Kooperation setzt. Ob wir das schaffen, wird die Zukunft zeigen.

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