Tafel Gunskirchen

Heuer fand es zum dritten Mal statt, das Geh-Denken. Organisiert wird es von der Katholischen Jugend, konkret von einem Team rund um Ela Klein. Die Idee dahinter: wir gehen von Wels aus auf das Gelände des ehemaligen KZ Gunskirchen, einem Nebenlager von Mauthausen. Dieses Lager war mitten im Wald nahe der Traun, und bestand von Dezember 1944 bis zu seiner Befreiung am 4. Mai 1945. In dieser Zeit war es die Hölle auf Erden. Es war ein Vernichtungslager, wenn es auch keine Gaskammern oder Krematorien gab. Die Menschen die hier her in so genannten Todesmärschen getrieben wurde, waren dem Tod geweiht. Kein Essen, keine medizinische Versorgung, sich selbst und Krankheiten wie Typhus überlassen. Viele starben auf bestialische Art und Weise, ertranken in Regenpfützen oder starben an Entkräftung.

Als die us-amerikanischen Soldaten das Lager erreichten, bot sich ein Bild des Grauens. Eine Überlebende dieser Hölle auf Erden schreibt davon, dass ein Soldat sie unter einem Berg aus Leichen regelrecht herausziehen musste. Eine andere Überlebende sagte in einem Interview später, dass die Befreier alle zusammen nur mit Tränen in den Augen und schwer geschockt vom Anblick, der sich ihnen bot, helfen konnten. 

Die Nazis haben Mauthausen, Gusen oder eben Gunskirchen als Orte der Vernichtung, des Auslöschens von Leben konzipiert. Mit dem Leben von Individuen sollten auch die Erinnerung an diese Menschen, an die Kultur dieser Leute, an die Sprache, an die Gemeinschaft ausgelöscht werden. Die Opfer des Nationalsozialismus wurden entmenschlicht. Sie wurden Tieren gleichgesetzt, damit es leichter ist sie zu töten und zu drangsalieren. Sie wurden zu Menschen zweiter, dritter oder noch niedrigerer Klasse erklärt. Es wurde Ihnen das Recht auf eine Sprache, auf ihre Familien oder eben auf ihre Namen genommen. Sie wurden zu Nummern, Nummern in einem mörderischen System, das bürokratisch ausgeklügelt sich Gedanken über den Wert seiner Opfer machte. Was kosten diese Menschen, und was bringen sie? „Tod durch Arbeit“ war eine eigene Klassifizierung im System der NS-Mordmaschinerie, Mauthausen war ein Lager dieser Einstufung. Gunskirchen war dagegen ein Lager, wo Menschen regelrecht abgeladen und sich selbst überlassen wurden. Der Hunger im Lager war so groß, dass die Rinde der Bäume bis zu einer Höhe von 2m abgenagt war. Die dorthin deportierten tranken das Wasser aus Pfützen und das das von den Regenrinnen in Fässern gesammelt wurden. Für die mindestens 17.000 (die Zahlen variieren, neuere Schätzungen gehen von 30.000) Jüdinnen und Juden in Gunskirchen gab es 2 Latrinen. In der Früh stellten sich die Menschen an, um auf die Latrine zu kommen, wer sich krankheitsbedingt beim Anstellen entleerte oder es nicht mehr aushielt, der wurde von den anwesenden Wachmannschaften an Ort und Stelle exekutiert. Damit geriet sogar etwas derart Profanes wie der Gang auf die Toilette zur Frage über Leben und Tod. 

Doch nicht nur die Geschichte der Taten und Opfer des KZ Gunskirchen ist eine bedrückende, auch der Umgang der Republik Österreich mit dem Gelände ist bedrückend. So wurde 1979 versucht ohne Rücksprache mit der Jüdischen Kultusgemeinde die sterblichen Überreste zu exhumieren und umzubetten. Eine vorsätzliche Verletzung des jüdischen Glaubens, wonach eine Grabstelle nur in absoluten Ausnahmefällen verlegt werden darf. Genauso ist es beschämend, dass die Erinnerungstafel vor Ort keinerlei Würde ausstrahlt. Es ist nur eine lieblos hingepflanzte Tafel, ein Zeugnis für „Dienst nach Vorschrift“. Nicht umsonst hängen wir am Pfahl dieser Tafel auch die Namen für die wir beim Geh-Denken gehen auf. Um zumindest so ein kleines Stück Würde an diese Stelle zu bringen, indem wir die Namen derer, die in Gunskirchen die Hölle auf Erden fanden wieder in den Mittelpunkt rücken.

Das Geh-Denken bedeutet auch, sich einige Stunden lang mit der Geschichte der Menschen, der Opfer von Gunskirchen einzulassen. Wir lesen uns Biographien durch, tauschen uns untereinander aus, reden über die Bedeutung des Andenkens im Hier und Heute, und was wir aus der Geschichte lernen können. Und das ist gut so. Heute ist es wohl wichtiger als je zuvor. Ich hatte die Biographie von Sari Gartner bei mir. Sari war 17 als sie nach Gunskirchen kam, zuvor wurde sie nach Mauthausen gebracht. Sie stammte ursprünglich aus Budapest, arbeitete dort als Lederdekorateurin. Verschleppt wurde sie nur, weil sie Jüdin war. Sie überlebte, und das war das Gute beim Geh-Denken. Wir hatten uns dieses Mal mit überlebenden Frauen des Lagers Gunskirchen auseinandergesetzt. Wir haben an Sari und die anderen Überlebenden erinnert, auch um sich dessen was es für das Hier und Heute bedeutet klar zu sein: Wenn Rechtsextreme wieder salonfähig werden. Wenn Rechtsextreme so offen wie nie zuvor hetzen dürfen. Wenn Rechtsextreme im Bierzelt gröhlend die Ungleichheit der Menschen als Grundlage allen Seins definieren. Wir sollten 78 Jahre nach Gunskirchen, nach Gusen, nach Mauthausen, nach Auschwitz, nach Buchenwald, nach Ravensbrück, nach Dachau, nach Treblinka gescheiter sein.

Geben wir den Menschen ihre Namen zurück, benennen wir die Opfer, benennen wir die Täter. Lernen wir aus der Vergangenheit, wehren wir uns gegen die Entmenschlichung, auch gegen die heutige. Denn: Jeder ist Jemand.

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