Beim Zusammenstellen meiner Berlinreise war ein Anliegen nicht nur mit Politiker:innen zu sprechen, sondern auch mit Expert:innen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens. Eine solche Expert:innen-Gruppe ist jedenfalls der Marburger Bund, laut Selbstdefinition die Gewerkschaft für alle angestellten Ärzt:innen in Deutschland. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, dennoch verhandelt der Marburger Bund mit den Krankenanstalten-Trägern mehr als 120 Tarifvereinbarungen. Auch das ein Zeichen dafür, wie differenziert das deutsche Gesundheitswesen in Summe ist.
Was mich natürlich interessiert hat, ist die Frage wie es in Deutschland mit dem viel zitierten Ärzt:innen-Mangel aussieht, und wie das vor allem die Interessenvertretung der angestellten Ärzt:innen – der weitaus größten Gruppe von Mediziner:innen – sieht. Auch in unserem Nachbarland ist die Situation ähnlich wie bei uns: die Anzahl der Ärzt:innen ist per se nicht das Problem, sondern die Anzahl jener, die einen Kassenvertrag haben. Zudem kommt der Umstand dazu, dass immer öfter Praxen nicht mehr in Besitz der jeweiligen Ärzt:innen sind, sondern von Finanziers betrieben werden. Einige „Reformen“ der Merkel-Ära haben dazu geführt, und die Interessen der Investoren sind nicht unbedingt die Sicherung der Versorgung, sondern die in meinem ersten Rückblick bereits erwähnten Renditen-Versprechen.
Wir führen ja in Österreich eine Diskussion über die Frage der Ausbildungsplätze. Wobei: ganz korrekt wird diese nicht geführt, denn zu oft werden Studienplätze und Ausbildungsplätze miteinander verquickt. Das Studium der Medizin an einer der Universitäten in Österreich (oder anderswo) macht mich per se nicht zum Arzt, sondern vermittelt mir die – meist theoretischen – Grundlagen um als Mediziner später arbeiten zu gehen. Was es danach noch braucht, sind praktische Ausbildung, meistens Facharzt-Ausbildungen. diese finden in den allermeisten Fällen in den Spitälern statt. In Österreich ist das recht eng geregelt: eine mit der Ausbildung betraute Person darf im Normalfall eine weitere Person ausbilden. Nur in bestimmten Mangelfächern (wie beispielsweise Kinder- und Jugendpsychiatrie) ist dieser strikte 1:1-Schlüssel auf 1:2 verändert worden. Begründet wird dies mit den hohen Qualitätsanforderungen und der einhergehenden Sicherung der Qualität. Deutschland geht hier seit jeher einen anderen Weg, theoretisch darf in Deutschland eine mit der Ausbildung betraute Fachperson so viele Ärzt:innen ausbilden, wie sie oder er glaubt. In der Regel wird natürlich darauf geachtet, dass es in der Praxis gut funktioniert, dass jede und jeder alles in der Ausbildung sieht, was relevant und wichtig ist, und vor allem auch selbst macht.
Beim österreichischen Modell habe ich also schon einmal die erste Hürde im Finden eines Ausbildungsplatzes. Wobei, das sogar noch halbwegs zu gehen scheint, wie viele Jungärzt:innen in Gesprächen immer wieder meinen. Was schon eher das Problem ist: die theoretische Anzahl von Ausbildungsplätzen ist in Österreich ständig in der Diskrepanz zu den tatsächlich in den Dienstplänen abgebildeten Plätzen. Oder anders gesagt: in der Theorie stellen die Spitäler, die Ausbildungsplätze zwar zur Verfügung, in der Praxis sind diese aber nicht mit Stellen im Dienstpostenplan versehen. Damit verbunden können dann aber diese Plätze nicht besetz werden. Dafür zeichnen sich vor allem die Spitäler verantwortlich, die als Ausbildungsstätten die Hand darüber haben. Dieses Thema scheint es in Deutschland laut Informationen der Bundesspitze des Marburger Bundes so nicht zu geben, jedenfalls aber nicht in dem Ausmaß wie bei uns und in der Breite.
Was hat das mit der Situation bei uns zu tun? Dass jedes Jahr etliche bundesdeutsche Student:innen, die nicht über den notwendigen Notenschnitt verfügen, ihr Studium in Österreich beginnen wollen, ist Fakt und wohl bekannt. Was aber nicht geklärt ist: wohin gehen Absolvent:innen des Medizinstudiums am Ende ihrer universitären (Basis)Ausbildung – egal woher diese stammen? Meine Überlegung angesichts der mir bekannten Zahlen: immer öfter wird Deutschland für junge Nachwuchsmediziner:innen die attraktivere Destination, um die Facharztausbildung zu machen – egal woher diese ursprünglich stammen. Oder anders gesagt: Österreich und Deutschland sind in dieser Frage Konkurrenten. Ein Indikator wäre dafür die Zahl der Eintragungen in die Ärzteliste in Österreich und Deutschland. Denn nur wer sich in die jeweilige Liste eintragen lässt, ist auch im jeweiligen Land als Mediziner:in zur Ausübung zugelassen. 2019 beispielsweise beendeten 1.518 Student:innen erfolgreich ihr Medizinstudium in Österreich (Quelle: www.praktischerarzt.at), 470 davon kommen offensichtlich aus dem Ausland. Mindestens ein Drittel der erwähnten 1.518 wird aber niemals im österreichischen System schlagend werden, denn diese gehen ins Ausland zur praktischen Weiterbildung. Jetzt könnten wir natürlich sagen, dass das so oder so alles ausländische Medizinstudent:innen sind, also vorzugsweise Deutsche. Dem steht aber ein relativ stabiler Anteil österreichischer Mediziner:innen in der deutschen Ärzt:innen-Liste gegenüber, so dass heute etwas über 3.750 österreichische Mediziner:innen in Deutschland arbeiten (zum Vergleich: in der österreichischen Liste werden aktuell ca. 47.000 Mediziner:innen geführt). Eine Unschärfe gibt es hier noch: die Anzahl der Mediziner:innen, die es in die Forschung zieht, und daher keine aktiven Ärzt:innen werden.
Eine spezielle Dynamik hat diese Debatte auch erst vor wenigen Tagen erfahren, als der steirische Primar Kerbl meinte, dass statt einem Aufnahmetest zum Medizinstudium die Interessent:innen ein einjähriges Pflegepraktikum absolvieren sollten. In diesem Zusammenhang nannte er Tätigkeiten wie Betten machen, Essen ausgeben und Putzen als zentrale Aufgaben. Dass diese keine pflegerischen Tätigkeiten darstellen, ist einmal das eine. Dass es sich bei der Pflege um einen Beruf mit einer – je nach Qualifikation – 1-, 2- oder 3-jährigen Ausbildung handelt, ist das andere. Somit wird dieser Vorschlag von nicht wenigen Angehörigen der Pflegeberufe als durchaus respektlos empfunden. Dass einzelne Landespolitiker:innen aufspringen, und sich ein solches Modell geradezu herbeisehnen, ist aber nicht weiter verwunderlich. zu lukrativ scheint der Ausblick auf billige Arbeitskräfte zu sein. Der Aspekt, dass damit der Spitalsbetrieb noch vor dem Studium den möglichen Mediziner:innen der Zukunft vor Augen geführt werden soll, ist hingegen ein Argument, das ich nachvollziehen kann. Aber mittels einem einjähriges Praktikum, mit dem einzig Löcher in der Versorgung gestopft werden sollen? Ich weiss nicht.
Was also machen? Zum einen braucht es Maßnahmen gegen die jedenfalls zu hohe Dropout-Quote während des Medizinstudiums. Das steht aus meiner Sicht außer Zweifel. Auch am Eignungstest für das Medizinstudium muss nochmals geschraubt werden – und das passiert auch, wie mir bestätigt wurde. Aber auch die Facharzt-Ausbildung muss aus meiner Sicht reformiert werden. Das Bitten und Betteln um einen Platz, so wie das manche Jungärzt:innen mir gegenüber schon beschrieben haben, muss ein Ende haben. Die Krankenhäuser haben die notwendigen Ausbildungsplätze in jedem Fall nicht nur in der Theorie zur Verfügung zu stellen, sondern auch praktisch in den Dienstposten abzubilden. Genauso muss mit der ÖÄK nochmals zumindest über die Aktualität und die Attraktivität der Ausbildung gesprochen werden. Vor allem angesichts der Erfahrungen in anderen Ländern. Es muss uns allen endlich klar werden, dass wir gerade, was die Ausbildung anbelangt im direkten Konkurrenzverhältnis zu anderen europäischen Staaten – insbesondere Deutschland, Schweiz und Südtirol – stehen. Erst wenn wir das verinnerlicht haben, und entsprechende Änderungen vorgenommen haben, gibt es eine realistische Chance auch diese Löscher nicht nur zu stopfen, sondern nachhaltig die Anzahl der in Österreich ausgebildeten und wohl dann auch hierbleibenden Ärzt:innen zu heben. Was es dann noch braucht: ein modernes Vertragswesen, das attraktiv genug ist, damit junge Ärzt:innen auch einen Kassenvertrag annehmen wollen. Aber das ist dann eine andere Debatte, die wir aber auch endlich führen müssen…