Es ist 05:52 in der Früh, ich sitze im Zug und warte auf seine Abfahrt nach Wien. Diese Woche habe ich nur wenig Termine in Wien, wenig Grund nach Wien zu fahren. Angesichts der Entwicklungen der letzten Tage bin ich sogar ein klein wenig froh darüber Wien diese Woche so gut es geht zu meiden. Dennoch, heute – gerade heute – muss ich nach Wien. Was so schlimm am heutigen Tag und an Wien ist? Vor gut einer Stunde wurden Kinder aus Wien abgeschoben. Nach Georgien. In ein Land, das sie wohl nur vom Hörensagen her kennen, mit dem sie nichts verbinden und keinen echten Bezug dazu haben, außer dass sie dort her sein sollen, und angeblich dorthin gehören. Die Schulkolleg*innen haben sich für einen Verbleib in Österreich stark gemacht, Abgeordnete von SPÖ und NEOS und natürlich auch wir haben uns für ein Bleiben eingesetzt, die Zivilgesellschaft und NGOs haben sich eingesetzt, Journalist*innen wie Florian Klenk haben ihre Stimme erhoben Genutzt hat es nichts, die Kinder werden abgeschoben.
Sie werden nicht abgeschoben, weil es eine kurzfristige rechtliche Änderung gegeben hätte, sondern weil die Gesetze in diesem Land sind wie sie sind. Gesetze, die in den letzten 30 oder 35 Jahren nicht nur einmal verschärft wurden, meistens mit 2/3-Mehrheiten im Nationalrat, nur um das Öffnen und Zurücknehmen so gut es geht zu verhindern. Mit an Bord waren immer alle drei großen Parteien, sonst wäre sich das mit den 2/3 oft auch nicht ausgegangen. Aber es ist natürlich leicht über das Vergangene zu lamentieren, wenn man selber in der Regierung sitzt, dann müsste man das doch ändern können. Stimmt, das müsste man, wenn es die Bereitschaft dazu gibt. An uns würde es nicht scheitern, und trotzdem habe ich keine große Hoffnung im Moment, glaube ich nicht daran dass sich hier etwas ändert. Zu groß ist die Angst der ÖVP Wähler*innen an die FPÖ zurück zu verlieren, zu groß die Angst vor einer neuen Debatte um das Asylrecht. Man möchte fast meinen, wir verharren in einer Situation des Patts. Es ändert sich nichts, also kann es nicht schlimmer werden, aber eben auch nicht besser.
Ist das mein Anspruch? Nein, natürlich nicht. Ebenso wenig wie es der Anspruch meiner Kolleg*innen ist. Wir wollen das ändern, und wir werden da nicht locker lassen. Ob wir damit erfolgreich sein werden ist eine andere Frage. So realistisch muss ich leider auch sein und bleiben, wenn man kein Interesse an einer Änderung hat – so wie unser Koalitionspartner – dann wir es umso schwerer etwas zu ändern. Also austreten aus der Koalition, weil es eh nix bringt? Nein, auch dagegen verwehre ich mich, das würde noch weniger ändern, noch weniger bringen und die Strukturen, die eine Abschiebung wie oben ermöglichen, weiterhin verfestigen.
Ich bin heute früh um 04:30 aufgestanden, um den Zug zu erreichen, um nach Wien zu kommen. Diese Nacht habe ich nicht gut geschlafen, ich bin fast jede Stunde einmal munter geworden, habe 2x das Bett verlassen um zu schauen, ob bei den Kindern alles okay ist und mich zu vergewissern, dass eben alles passt. Es ist aber ehrlich gesagt auch egal, ob ich gut oder schlecht geschlafen habe, das tut nichts zur Sache, das verändert der für niemanden die Situation. Ich habe das in einem anderen Zusammenhang auch schon einmal gesagt, ob wir Abgeordnete gut oder schlecht schlafen ist die falsche Frage. Manche von uns haben gar nicht geschlafen, weil sie entweder am Telefon waren um noch zu versuchen was zu versuchen ging, andere weil sie persönlich – wie viele andere Menschen auch – vor Ort waren um zu protestieren. “Jetzt demonstriert ihr gegen Euch selber!”, möchte man da schreien, weil wir Grüne sind ja in der Regierung. Diesen Reflex kann ich zwar nachvollziehen, er ist halt nur nicht richtig. Wir sind in einem Rechtsstaat, und dieser bewegt sich entlang der Gesetze. So wütend es mich regelmäßig macht, aber das gilt in alle Richtungen. Als Regierung kannst du die Entscheidung von unabhängigen Gerichten nicht aushängen, kannst diese nicht einfach revidieren. Es macht mich ohnmächtig, die Wut in meinem Bauch ist riesig ob dieser Umstände.
Es ist gut, dass Kolleg*innen von mir vor Ort waren. Süleyman Zorba, Lukas Hammer, Sibylle Hamann und Georg Bürstmayer waren bei der Abschiebung vor Ort, ebenso wie Abgeordnete der NEOS und der SPÖ, ebenso wie Florian Klenk und andere Journalist*innen. Sie alle hatten die Hoffnung, dass die Interventionen und Versuche der letzten Tage etwas bewirken würden. Vielleicht eine aufschiebende Wirkung eines Antrags? Oder das Aussetzen der Abschiebung bis die Covid-Pandemie vorbei ist? Alles Möglichkeiten, die den Rechtsstaat nicht sonderlich biegen würden, und trotzdem helfen können. Erfolglos, wie wir nun wissen. Und so sitze ich jetzt im Zug nach Wien mit einer Mischung aus Wut und Ohnmächtigkeit, mit dem Gefühl dass wir nichts im Menschenrechtsbereich erreichen können. Das Gefühl wird hoffentlich schnell weg sein, wir werden daran arbeiten und wir werden nicht locker lassen, auch wenn es leere Kilometer sein werden, aber wir werden da nicht nachgeben. Es wird eine Lösung brauchen, eine Lösung bei der wir eben nicht weiterhin Kinder traumatisieren. Es klingt abgedroschen, aber nur wer kämpft kann verlieren. Heute haben die Humanist*innen im Land verloren.