Achtung Achtung

Ich hatte in den letzten Tagen das Vergnügen mich in Berlin mit Vertreter:innen der deutschen Gesundheitspolitik zu treffen. Dabei war mir wichtig nicht nur die Seite der Politik zu hören, sondern mich auch mit Expert:innen, Wissenschafter:innen und Angestellten im Gesundheitswesen zu treffen und offen auszutauschen. Ehrlich gesagt bin ich mit der Frage „Wie um alles in der Welt funktioniert ein Gesundheitssystem, das derart verländert ist wie das deutsche?” nach Berlin gefahren. Zurückgekommen bin ich mit vielen Antworten und einem zusätzlichen Aspekt, der zwar zuvor schon deutlich in unseren Überlegungen mitgespielt hat, aber jetzt nochmals viel mehr Gewicht bekommen hat: Zweiklassenmedizin. Wobei dieser Ausdruck alleine ist es noch nicht ganz, besser passend wäre eher „Zweiklassenmedizin auf Grund von Privatisierungen“, weil genau das ist in Deutschland heute der Status Quo.

Wir diskutieren aktuell eine Novelle zum Primärversorgungsgesetz, also jenes Gesetz, welches die Schaffung und den Betrieb so genannter Primärversorgungseinheiten definiert. Hier schließen sich in der aktuell gültigen Gesetzeslage zumindest 3 Allgemeinmediziner:innen zusammen, betreiben gemeinsam eine solche Einheit. Diese muss entsprechende Öffnungszeiten aufweisen, und bietet oft mehr als die herkömmlichen Dienste und Leistungen einer Einzelpraxis an. Gerade in Gemeinden wie Thalheim mit seinen 5.500 Einwohner:innen wäre eine PVE die perfekte Versorgungslösung für die Bevölkerung. Wir als Grüne wollen die Gründung und den Betrieb dieser PVEs erleichtern. Was wir aber nicht wollen: dass private Unternehmensstrukturen und Hedgefonds in die Gründung und den Betrieb einsteigen können. In den Diskussionen und Gesprächen argumentiere ich das u.a. auch immer mit der akuten Situation in Deutschland, wo genau das in den letzten Jahrzehnten massiv passiert ist, und Krankenhäuser bzw. Ordinationen derart einer Verwertungslogik unterworfen wurden, dass am Ende auch Schließungen angeordnet werden, wenn der monatliche Reibach nicht passt. Meine Gegenüber bei diesen Debatten tun dann gerne immer so, als ob das in Deutschland Einzelfälle wären oder es ja gar nicht so schlimm sei. Die Marktlogik ist da oft stärker als der Hang zur Realität. Außerdem würden ja in Österreich „gute Kapitalist:innen“ einsteigen in das Geschäft mit der Gesundheit, da sind wir ja angeblich meilenweit von Hedgefonds und dergleichen entfernt. Das, was sich die letzten Tage in meinen Gesprächen in Berlin dargestellt hat, schaut anders aus, ganz anders. Und, es ist eine viel eindringlichere Warnung als ich bisher wahr genommen habe. Egal ob ich mit der Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote, mit dem Gesundheitssprecher der Grünen im Bundestag Dr. Dahmen oder mit Ärzt:innen des Marburger Bunds rede, alle zeichnen ein anderes, deutlich schlimmeres Bild als bisher bekannt. Selbst im Gespräch mit Menschen, die nicht direkt in der Gesundheitspolitik verankert sind, kommt dieses Thema zur Sprache.

Das deutsche Gesundheitswesen ist dem österreichischen nicht unähnlich. Zumindest was die grundsätzliche Anlage anbelangt. Um die Finanzierung kümmern sich im Großen und Ganzen Kommunen, Länder und Bund, den weitaus größten Anteil übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Die Idee ist wie auch bei uns, dass die Solidarität der Vielen diejenigen trägt, die es im Fall der Fälle brauchen. Wenn man krank ist, dann soll aus dieser Versicherungsleistung heraus immer alles so weit wie möglich und so viel wie möglich übernommen werden. Mögliche Lücken sollen gesucht, gefunden und geschlossen werden. Dabei sollen alle gleichermaßen ihren möglichen Anteil leisten – die Reichen mehr, die Ärmeren weniger. Am Ende soll ein System übrig bleiben, das von der besten Versorgung ausgeht. So weit die Theorie. Wie immer, wenn es um Geld geht, gibt es auch Geschäftsideen und Rendite-Streben. Die Zusatzversicherung hier, eine zusätzliche Unfallversicherung dort. Immer darauf bedacht, dass Patient:innen in den versicherten Fällen mehr als die normale Behandlung bekommen können, oder bestimmte Behandlungen ohne selber Geld in die Hand zu nehmen bekommen. Dieses Geschäftsmodell kennen wir selber zur Genüge, laut Informationen aus der Branche sind in Österreich knapp 2,5 Mio Menschen zusatzversichert, und versuchen so sich bessere Behandlungen und mehr Auswahl bei den Behandler:innen zu sichern. Was wir auch kennen sind private Spitäler und Krankenanstalten, in denen jene die es sich leisten können vermeintlich bessere Behandlungen vorfinden. Auch so weit bekannt, und bei uns keine Neuheit. 

Was wir in Österreich aber nicht kennen: dass ca. 30% der Spitäler und Krankenanstalten (sogar eine Universitätsklinik) in privater Hand von Unternehmen und Konzernen mit Gewinnabsicht sind. Und diese Strukturen versprechen ihren Investor:innen absurd hohe Renditen, die Rede ist von 8% in Zeiten wie diesen. Das wiederum geht nur, wenn entweder ausgabenseitig gespart wird (also v.a. beim Personal) oder man nur noch das Geschäft macht, das sich besonders gut mit staatlichen und privaten Versicherungen abrechnen lässt. Da wird dann auch davon berichtet, dass es Unterredungen gibt, bei denen die Zielerreichungen ausgegeben werden, in dem Wissen, dass diese nicht durch allgemeine Versorgung sondern durch Fokusierung auf bestimmte Therapien und Ansätze erreicht werden können. Böse und übertrieben gesagt: auch wenn du mit einem Herzinfarkt kommst, musst du mit einer neuen Hüfte raus, weil dein Aufenthalt ansonsten nicht genügend Gewinn abwerfen würde. Wie gesagt ist das eine bewusste Überspitzung, die aber dennoch einen wahren Kern aufweist, wie mir einige Gesprächspartner:innen versicherten. Ähnliches spielt sich zudem im niedergelassenen Bereich ab, also in der wohnortnahen Versorgung mit (Fach)Ärzt:innen. Hier ist der Anteil privater gewinnorientierter Unternehmen in der Struktur nochmals schwieriger einzuschätzen, da die Strukturen viel weniger durchsichtig sind. So sind auch etliche branchenfremde Unternehmen anscheinend ins Geschäft mit der Gesundheit eingestiegen. Die Rede ist unter anderem davon dass Jacobs (genau die Kaffeemarke) etliche Ordinationen im ganzen Land besitzt. Vor allem bei Zahn- und Augenärzt:innen dürften diese Unternehmen massiv in der Struktur vorhanden sein, auch weil hier das Folgegeschäft mit Heilbehelfen wie Brillen oder Zahnersatz entsprechende zusätzliche Gewinne ermöglicht. Eine Art ganzheitliche Betrachtung in der Verwertungslogik der Patient:innen: der Augenarzt verschreibt die Brille, die dann der konzerneigene Optiker herstellt und anpasst. Gleichzeitig bietet der Konzern auch eine Laserkorrektur an, was der diagnostizierende und behandelnde Arzt natürlich offensiv den Patient:innen anbietet. Alles übernommen von der Krankenkasse im besten Fall, im Normalfall wohl immer mit einer Zuzahlung verbunden, die dann die daher dringend nötige Zusatzversicherung übernimmt. Am Ende ein gutes Geschäft für das gewinnorientierte Unternehmen, ein so gutes Geschäft sogar, dass die versprochenen Renditen erwirtschaftet werden. Jedoch, wenn nicht, dann wird zugesperrt, wie wir in den letzten Jahren auch immer wieder gesehen haben. Ein zusätzliches anderes Problem mit diesen Strukturen: die Personaldecke ist nochmals dünner, denn Mitarbeiter:innen sind ein Kostenfaktor in der Verwertungslogik der Unternehmen. 

Zurück zu den Primärversorgungseinheiten. Wenn also nun manche meinen, wir müssten über eine Öffnung des öffentlichen Gesundheitswesens für gewinnorientierte Unternehmen diskutieren, dann brauche ich nur auf meine Gespräche der letzten Tage verweisen, um das mit gutem Gewissen schlicht und ergreifend abzulehnen. Statt einer solchen vermeintlichen Liberalisierung brauchen wir ein durchfinanziertes öffentliches Gesundheitswesen, in dem alle die beste Versorgung vorfinden. Wir brauchen dafür aber auch ein neues modernes Vertragswesen zwischen Sozialversicherungen und Ärzt:innen. Ziel muss es sein, dass nicht die Anzahl der täglich abgearbeiteten Patient:innen den Ausschlag geben kann. Ebenso braucht es endlich ein Gesundheitssystem, das nicht mehr alleine auf Ärzt:innen aufbaut, sondern die Kompetenzen und Fähigkeiten aller Gesundheitsberufe gleichermaßen einsetzt, um den Patient:innen die beste Versorgung zu ermöglichen. Dabei versteht es sich von selbst, dass Prävention einen zentralen Stellenwert einnimmt, auch in der Finanzierung durch die Sozialversicherungen. Das muss Teil des Finanzierungsauftrags von Krankenversicherungen werden. Dabei müssen wir auch noch Bürokratie abbauen, denn ich verstehe es durchaus, wenn Ärzt:innen den immensen Aufwand beklagen, den sie aus verschiedenen Gründen haben, beklagen. In Deutschland sind es aktuell 3 Stunden Dokumentationspflichten, denen angestellte Ärzt:innen pro Tag nachkommen müssen. Dass es eine saubere Dokumentation alleine schon aus gründen der Qualitätssicherung braucht, versteht sich von selbst. Ebenso braucht es eine einheitliche Diagnose-Codierung die auswertbar ist, um bessere statistische Einblicke in den Gesamtzustand des österreichischen Gesundheitswesens zu bekommen. Aber dass jeder einzelne Handgriff dokumentiert werden muss, dass Ärzt:innen manchmal 3 Tage sitzen um eine Quartalsabrechnung zu erledigen? Auch das gehört in einem neuen modernen Vertragswesen anders geregelt.

Die skandinavischen Länder haben alles das bereits erkannt. Interdisziplinäres und interprofessionelles Arbeiten ist dort an der Tagesordnung. Moderne Leistungsvereinbarungen zwischen Ärzt:innen und Krankenversicherungen an der Tagesordnung. Die Grundversorgung orientiert sich an Qualität und die Datenlage zur Gesamtsituation ist transparenter als bei uns. Das wäre aus meiner Sicht der anzustrebende Zustand für Österreich, ohne Privatisierungen und ohne Liberalisierungen zugunsten von gewinnorientierten Unternehmen. Werden wir auch schaffen. 

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